Gesellschaft im Wandel - die Autorin Zhang Yueran über Erinnerung und das heutige China

Shownotes

Wie hat sich die chinesische Gesellschaft seit dem Ende der Mao-Ära verändert? Welche Brücke und Konflikte prägen die Generationen? Und wie gehen junge Chines*innen mit der Vergangenheit um?

Zitat der Folge

»Literatur kann die Stummen sprechen lassen. Die Stummen können sowohl die bereits Verstorbenen sein, aber auch diejenigen, die sich entscheiden, stumm zu sein. So wie manche meiner Eltern- oder Großeltern-Generation. Sie bevorzugen es, zu vergessen oder unserer Generation nicht ihre Geschichte zu erzählen. Aber ich glaube, es ist wesentlich, dass wir diesen Dialog haben durch Literatur.«
Zhang Yueran, Schriftstellerin

Episodenbeschreibung

Zhang Yueran ist eine der wichtigsten literarischen Stimmen Chinas. In ihren Romanen Cocoon und Schwanentage erkundet sie familiäre und gesellschaftliche Konfliktlinien, thematisiert Schuld, Erinnerung und Verantwortung. Im Gespräch reflektiert sie über China im Umbruch, über Generationenkonflikte und transgenerationales Trauma. Wie schafft sie es in Romanform mit der Kulturrevolution umzugehen und was hat chinesische Geschichte mit einer Pizza zu tun? Und warum müssen Feminismus und Me Too in China zusammen mit sozialer Ungerechtigkeit gedacht werden? Antworten darauf gibt es im Böll-Podcast. Anschließend ordnet die Literaturkritikerin Katharina Borchardt Chinas unterschiedliche literarische Epochen ein und erklärt den Unterschied zu Literatur aus Japan und Südkorea.

Kapitel mit Zeitmarkierungen

• (00:00:01) – Intro: Zhang Yueran, das Literaturfestival und neue Stimmen aus China

• (00:03:09) – Geschichte & Trauma: Die Kulturrevolution und die Rolle der Literatur als Brücke zwischen den Generationen

• (00:12:02) – Gegenwart & Feminismus: Gendergerechtigkeit, „Nannys“ und die MeToo-Bewegung

• (00:19:03) – Literaturmarkt: Neue Stimmen, Science-Fiction und aktuelle Trends auf dem deutschen Buchmarkt

• (00:22:48) – Fazit & Ausblick: Warum Literatur aus China für Europa relevant ist

Unsere Expert*innen

Zhang Yueran
• Preisgekrönte Schriftstellerin aus Peking

Katharina Borchardt
• Literaturkritikerin, Moderatorin bei SWR Kultur

Weiterführende Artikel und Quellen

Bibliographie Zhang Yueran: [🔗 https://literaturfestival.com/authors/zhang-yueran/]

Buch: "Sparks" by Ian Johnson [🔗 https://ian-johnson.com/sparks-chinas-underground-historians/]

Literaturmagazin: Granta-Ausgabe zu China [🔗 https://granta.com/products/granta-169-china/]

Definition: Kulturrevolution [🔗 https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/228467/kulturrevolution-in-china/]

Blog: Infos zur so genannten Dongbei-Literatur, der Zhang Yuerans Mann Shuang Xuetao zugeordnet wird [🔗 https://www.sixthtone.com/news/1013593]

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Gebündelt und auf den Punkt gebracht: böll.podcast ist das neue Podcastformat der Heinrich-Böll-Stiftung. Hier sprechen unsere Hosts Emily und Lukasz jede Woche mit Gäst*innen über Politik, Gesellschaft und Umwelt. Es geht um Ideen, Konflikte und Fragen, die uns heute bewegen und unser Morgen prägen. Jede Folge eröffnet neue Blickwinkel und lädt dazu ein, gemeinsam weiterzudenken.

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Grafik: Li Jinpeng, Bearbeitung: hbs, alle Rechte vorbehalten.

Transkript anzeigen

00:00:01: Well Podcast.

00:00:05: Der Podcast der Heinrich

00:00:06: Bay Stiftung.

00:00:08: Es

00:00:13: ist sehr interessant.

00:00:14: In China ist Geschichte wie eine Pizza.

00:00:16: Jeder greift sich nur sein eigenes Stück.

00:00:19: Aber meine Generation hat kein eigenes Stück.

00:00:21: Die Generation meiner Eltern hat schon über die Kulturrevolution geschrieben.

00:00:25: Es ist also erledigt, abgeschlossen.

00:00:28: Wenn ich das thematisiere, sagen sie mir, das ist ein Thema, was dir nicht gehört.

00:00:38: Das sagt die Romanautorin Jean-Joy Jean.

00:00:42: In ihren Büchern setzt sie sich mit familiären Traumataar, Generationskonflikten, weiblichen Perspektiven und gesellschaftlicher Ungleichheit auseinander.

00:00:51: Mitte September war sie für ein paar Tage in Berlin, um ihr neues Buch Schwarnentage vorzustellen.

00:00:57: Und getroffen hat sie mein Kollege Wukasz Tomaszewski.

00:01:00: Hallo Wukasz.

00:01:01: Hallo Emily.

00:01:01: Wukasz, du hast die heutige Folge vom Böl Podcast vorbereitet.

00:01:05: Wie kam es dazu, dass du die Autorin getroffen hast?

00:01:08: Also Anlass war das internationale Literaturfestival Berlin, das ja in diesem Jahr schon zum fünfundzwanzigsten Mal stattgefunden hat.

00:01:16: Es ist ja eines der wichtigsten Literaturfestivals der Welt.

00:01:20: Es gibt Buchprämierungen, Lesungen, Panel-Diskussionen und ich habe dort halt eine Live-Sendung moderiert und die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet schon ganz lange mit dem ILB-Festival zusammen und in diesem Jahr gab es unter anderem einen Schwerpunkt auf neue Stimmen aus China und dazu hat halt auch eine Veranstaltung in der Heinrich-Böll-Stiftung stattgefunden.

00:01:43: Davor habe ich sie zum Interview getroffen.

00:01:47: Was ist Zhang Zhijian für eine Person?

00:01:49: Und was würdest du sagen, zeichnet sie auch als Schriftstellerin aus?

00:01:53: Also, sie ist voranvierzig Jahre alt.

00:01:54: Sie kommt aus der ostchinesischen Stadt Jinan und gehört zu den wichtigsten literarischen Stimmen ihres Landes.

00:02:01: Repräsentiert, ja, ich will mal sagen, so eine offene urbane Literatur Szene.

00:02:06: Und natürlich zeichnet sie wie eher untypische Thematik ihrer Romane aus.

00:02:12: Sie bohrt ganz schön tief, muss ich sagen.

00:02:14: Es geht da um transgenerationales Trauma, die Verarbeitung der komplexen chinesischen Geschichte der vergangenen fünfzig Jahre, aber eben auch um sehr moderne bisher eher unterbelichtete Themen wie zum Beispiel Feminismus.

00:02:29: und die große soziale Schere im Land.

00:02:32: Zhang Jiyuan, die erlebt in Peking, hat aber im Ausland studiert, spricht sehr gut Englisch und verfügt dadurch auch durch so eine Art, wie man sagen, Multi-Perspektivität, die in China ja nicht selbstverständlich ist.

00:02:47: Ihr Werk Kukun war vor ein paar Jahren ihr internationaler Durchbruch.

00:02:52: Da setzt sie sich mit den Nachwirkungen der Kulturrevolution auseinander.

00:02:58: mal ein bisschen erklären.

00:03:00: Das war ja im China der Sechziger und Siebzigerjahre eine Art Feldzug gegen eine vermeintlich Dekadente Bourgeoisie mit ziemlich krassen Folgen.

00:03:09: Jeder versucht die Kulturrevolution zwischen neunzehnundsechzig und neunzehnundsechzig in eine Art Infokasten zu pressen, kann wirklich nur schief gehen, viel zu komplex.

00:03:21: Und darum kann ich wirklich all unseren Zuhörenden, die den Begriff noch nie gehört haben, einfach nur empfehlen.

00:03:28: sich eine Netzwerkrecherche vorzunehmen oder sich ein gutes Geschichtsbuch zu greifen.

00:03:35: Wir haben dazu auch noch ein paar Links in unseren Show Notes reingepackt.

00:03:40: Ganz kurz runtergebrochen waren es einfach die letzten zehn Lebensjahre von Mao Zedong.

00:03:45: Er und seine engsten Mitstreiter und Mitstreiterinnen, die waren der Meinung, dass nach Jahrzehnten der kommunistischen Herrschaft sich eine Art kapitalistischer Revisionismus breitmacht in China.

00:03:57: Und diesen vermeintlichen Schreckgespenst haben sie dann den Krieg erklärt.

00:04:03: Zitat richtigen Weg abgekommen und müssten dafür bestraft werden.

00:04:09: Durch eine Welle der Gewalt, ja eine Art proletarischer Gewalt der Nachwuchsgeneration, sollte die Volksrepublik sozusagen wieder ideologisch und kulturpolitisch vom Klassenhierarchien gesäubert werden.

00:04:23: So jedenfalls die Idee dieser Führungsriege.

00:04:27: leider endete das Ganze einfach nur im Volksterror gegen Bildungseinrichtungen und Akademien.

00:04:33: Es gab zum Beispiel zehn Jahre lang gar keine Uni-Abschlüsse.

00:04:37: Opern wurden verboten, aber es kam noch viel schlimmer.

00:04:40: Denn es kam dann auch zur Deportation.

00:04:43: ganz viel den Onzeantentum und Volkstribunale, die absolut willkürlich unliebsame Personen hingerichtet haben.

00:04:52: Das nahmen einfach solche Züge an, dass Kinder ihre eigenen Eltern in den Tod schicken.

00:04:57: Und Tina ist sehr groß, das wissen wir und deshalb waren einfach Millionen Tote das Ergebnis dieser Kulturrevolution.

00:05:05: Also wirklich ein absolut traumatisches Erlebnis in der Geschichte von China.

00:05:09: Wenn ich jetzt darüber schaue, in das heutige China, dann lass mich raten.

00:05:14: Die Kulturrevolution wird jetzt heute wahrscheinlich nicht mehr wirklich kollektiv erinnert.

00:05:18: Richtig.

00:05:18: Und das ist halt das Besondere an Zhang Yiran.

00:05:22: Sie hat sich dieses schwierige Thema in ihren romanen Kukun vorgenommen.

00:05:28: Ich habe Zhang Yiran gefragt, woher ihr Interesse für die chinesische Geschichte stammt.

00:05:45: Ich habe fünf Jahre lang in Singapur studiert, kam nach China zurück und habe festgestellt, dass ich nicht mehr viel über die chinesische Gegenwart weiß.

00:05:53: Und ich habe auch festgestellt, vielleicht muss ich mehr über die Vergangenheit wissen, um die Menschen um mich herum zu verstehen.

00:05:59: Ich habe viel Zeit damit verbracht, herauszubekommen, was während der Kulturrevolution in meiner eigenen Familie passiert ist.

00:06:05: Ich habe viele Gespräche mit Menschen aus der Generation meines Vaters geführt.

00:06:10: Mein Roman Cocoon war eine Chance für mich, mehr über die Geschichte zu lernen.

00:06:24: Was sie hier so beschreibt, kennen wir aus der deutschen Nachkriegsgeschichte ganz gut.

00:06:30: Das Verdrängen und Verschweigen des Geschenens des Unsagbaren durch die Generation des Zweiten Weltkriegs.

00:06:37: Und dann eben dieser große Wille der nachfolgenden Generationen in Deutschland waren das ja die endlich die Wahrheit zu erfahren.

00:06:47: Ja, das ist die große Frage nach dem, warum.

00:06:49: Immer auch die Frage, warum man selber als Nachkomma, als Kind so ist, wie man ist und sich so fühlt, wie man fühlt.

00:06:56: Also das, was aktuelle in Europa in Film und Literatur auch als transgenerationales Trauma als richtiges Genre immer beliebter wird.

00:07:04: Manchmal braucht es ja sogar ein paar Generationen, zwei, drei, um diese Trauma da zu verarbeiten.

00:07:10: Ja, auch weil die traumatisierte Generation nicht sprechen will oder nicht sprechen kann, oft einfach verstummt ist.

00:07:17: Und Jang Yuran, die sagt, in meinem Buch wendet sich eine ältere Person an die Jüngere und sagt... Warum willst du das eigentlich alles wissen?

00:07:28: Gibt es in deiner eigenen Generation nichts Bedeutendes, mit dem du dich beschäftigen kannst?

00:07:33: Und ich habe Jang Duyurang gefragt, ob sie in Literatur vielleicht so eine Art mögliche Kraft sieht, um diese übersehene historische Perspektive freizulegen.

00:07:58: Literatur kann die Stummen sprechen lassen.

00:08:00: James Joyce hat mal gesagt, wir leben mit den bereits verstorbenen.

00:08:04: Die Stummen können sowohl die bereits verstorbenen sein, aber auch diejenigen, die sich entscheiden, stumm zu sein.

00:08:10: So wie manche meiner Eltern oder Großeltern-Generation.

00:08:14: Sie bevorzugen es zu vergessen oder unserer Generation nicht ihre Geschichte zu erzählen.

00:08:19: Aber ich glaube, es ist wesentlich, dass wir diesen Dialog haben durch Literatur.

00:08:23: So bekommen wir eine Verbindung zu ihnen und lassen sie sprechen.

00:08:27: Nicht in der Wirklichkeit, hier ist es unmöglich.

00:08:30: Aber in der Literatur kann dieser Dialog passieren.

00:08:39: Also durch Literatur, Beletristik, imaginierte Dialoge stellt die Autorin eine Art Brückeherd zwischen ihrer eigenen Generation und der Generation ihrer Eltern und Großeltern.

00:08:51: Soll das dann individuell passieren?

00:08:53: Also jeder für sich?

00:08:54: oder will sie damit wirklich auch eine Debatte anstoßen?

00:08:57: Ja, ist eine gute Frage.

00:08:58: Sie sagt beides.

00:08:59: Aber die Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte sei dabei sozusagen eine Voraussetzung, eine Art erster Schritt.

00:09:07: Sie habe in der Recherche für Kukun viele Gleichaltrige befragt, ob sie denn eigentlich die eigene Familiengeschichte kennen und eigentlich kannte sie niemand.

00:09:17: Und das sieht Jang Duran aber als eine Voraussetzung für eine richtige Debatte.

00:09:24: Und wie sind die Reaktionen der betroffenen Generation auf das Buch?

00:09:28: Sie reagieren am ehesten mit einer Art Befremdung, Distanz und passiver Abwehr.

00:09:55: Es ist sehr interessant.

00:09:56: In China ist Geschichte wie eine Pizza.

00:09:59: Jeder greift sich nur sein eigenes Stück.

00:10:01: Aber meine Generation hat kein eigenes Stück.

00:10:03: Die Generation meiner Eltern hat schon über die Kulturrevolution geschrieben.

00:10:07: Es ist also erledigt, abgeschlossen.

00:10:10: Meine Generation darf diese Seite der Geschichte nicht mehr aufschlagen.

00:10:14: Wenn ich das thematisiere, sagen sie mir, das ist ein Thema, was dir nicht gehört.

00:10:18: Warum beschäftigst du dich damit?

00:10:20: Du bist doch gar keine Zeugen.

00:10:22: Also ist das gar nicht authentisch.

00:10:24: Das denken wohl die älteren Leser.

00:10:26: Aber ich möchte sagen, wir sind die Zeugen der Zeugen.

00:10:29: Das ist wichtig, denn während der Kulturrevolution wurden sie traumatisiert.

00:10:33: Wir können die Spuren sehen, die es bei ihnen hinterlassen hat, wie sie beschädigt wurden.

00:10:43: Ich finde, sie beschreibt dieses Phänomen hier sehr schön.

00:10:46: Also, die älteren Generationen wollen keine alten Wunden aufreißen, sondern nach vorne schauen, eben vergessen.

00:10:53: Und die chinesische Gesellschaft hat sich dann in den neunziger Jahren des galoppierenden Kapitalismus nochmal extrem verändert.

00:11:00: Also, da war einfach gar kein Platz, um über die Vergangenheit nachzudenken.

00:11:05: Und ich finde, diese Diagnose, die kamen wahrscheinlich auch in Europa, einer Generation stellen, die diesen Systemwechsel von Planwirtschaft und Sozialismus zum Kapitalismus und zur Demokratie erlebt hat.

00:11:18: Die Welt war dermaßen neu.

00:11:21: Da war so viel zu entdecken, so viele Herausforderungen, dass manche gar keine Zeit mehr hatten, um eigentlich die Wunden der Transformation zu verarzt.

00:11:31: Und so sind heute einfach ziemlich hässliche Narben daraus geworden.

00:11:35: Und die Generation von Zhang Zhijun kann möglicherweise durch Literatur die psychologische Struktur ihrer Eltern dann entschlüsseln oder zumindest versuchen, weil sie ja die Gefühle und Verhaltensweisen ihrer Eltern kennen.

00:11:47: Echt spannend.

00:11:48: Jetzt haben wir über Cocoon gesprochen, aber Cocoon ist ja gar nicht das aktuelle Buch, mit dem Zhang Zhijun auf dem Internationalen Literaturfestival war.

00:11:57: Ihr neues Buch, das heißt ja Schwanntage im englischen Woman Seated.

00:12:01: Worum geht's

00:12:02: da?

00:12:04: ganz andere Themen, aber sehr große Themen des heutigen Chinas.

00:12:08: Es geht einmal um Gendergerechtigkeit und um die ökonomische Schere.

00:12:13: Die Hauptfigur ist das Kindermädchen Jiuling.

00:12:17: Sie arbeitet in der Familie von Superreichen und entscheidet sich eines Tages, den einzigen Sohn der Familie zu entführen und Lösegeld zu fordern.

00:12:27: Aber dazu kommt es gar nicht, denn während der Entführung wird der Patriarch der Familie wegen Korruption verhaftet.

00:12:33: Die Mutter flieht aus Angst vor möglichen juristischen Konsequenzen.

00:12:38: Und Juling, das Kindermädchen, das bleibt dann alleine zurück und muss sich auch noch um das Kind kümmern.

00:12:44: Jiang Jueran hat mir im Interview mehr über den Stand von Millionen chinesischer Kindermädchen oder, wie sie es nennt, Nannys.

00:13:04: Die Kindermädchen sind in den großen Städten fast unsichtbar.

00:13:07: Wir reden viel darüber, wie effizient China ist, aber wir vergessen dabei ihren Beitrag und ihre Aufopferung zu diesem Erfolg.

00:13:14: Und wir vergessen oft die Menschen in diesen Dienstleistungsberufen.

00:13:18: Die meisten Kindermädchen verlassen ihr zu Hause und leben bei den Arbeitgebern.

00:13:22: Ihre eigenen Kinder sind da oft gerade einmal ein halbes oder zwei Jahre alt.

00:13:27: Sie sehen ihre eigenen Kinder nur einmal im Jahr zum Frühjahrsfest.

00:13:31: Sie sind also in der Kindheit ihre eigenen Kinder abwesend.

00:13:34: Das ist ganz normal.

00:13:42: Sie sagt, das ist ganz normal.

00:13:43: und doch verändert ist natürlich die chinesische Gesellschaft nachhaltig und sorgt einfach für Schmerz und ein neues Trauma für Millionen von Müttern.

00:13:52: Kinder.

00:13:53: Und genau diese unsichtbaren, oft verschwiegenden Probleme in der Gesellschaft legt die Autorin einfach frei.

00:14:00: Sie sagte mir, bei schwarren Tage lässt sie Frauen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten miteinander in Dialog treten.

00:14:07: So wie schon bei Kokun, die unterschiedlichen Generationen.

00:14:10: Du sagst, es geht auch um feministische Themen.

00:14:12: Wie werden die behandelt?

00:14:14: Immer auf der Ebene dieser großen Ungleichheit der sozialen Klassen.

00:14:25: Die Mitu-Bewegung hat auch in China einen großen Einfluss.

00:14:28: Viele männliche Celebrities haben ihre Macht und ihren Rum verloren.

00:14:32: Aber gleichzeitig war dieser Einfluss auch begrenzt, weil es nicht das Leben der normalen Menschen betroffen hat.

00:14:39: Glaubst du, ein normaler Mann hört auf, seine Frau zu schlagen wegen Mitu?

00:14:42: Ich glaube nicht, da gibt es keinen Einfluss drauf.

00:14:45: Auch die anderen gesellschaftlichen Normen haben sich nicht wirklich verändert.

00:14:49: Der Status der meisten Frauen wie den Nannys hat sich bisher noch nicht verändert.

00:14:57: Zhang

00:14:59: Zhizhan hat internationale Preise für ihre Bücher gewonnen.

00:15:03: Sie ist damit natürlich auch eine Art China-Erklärerin.

00:15:06: Sieht sie sich dann selbst auch als so eine kulturelle Botschafterin?

00:15:10: Nein.

00:15:10: Ganz klar, sie meint, sie sei nur eine von ganz, ganz vielen Autor-Innen.

00:15:15: und wer China wirklich verstehen will, der oder diejenige sollte einfach Land und Menschen kennenlernen und viel andere Literatur lesen.

00:15:23: Ich habe sie auch gefragt, welche aktuellen Entwicklungen sie eigentlich beobachtet in der chinesischen

00:15:34: Literatur.

00:15:39: Es

00:15:41: ist noch zu früh zu glauben, dass chinesische Literatur mehr eine größere Leserschaft erschließen kann.

00:15:46: Aber in unserem Gespräch sind ihr parallel aufgefallen zwischen meinen Roman und den westlichen Roman.

00:15:52: Und auch Ähnlichkeiten zwischen den Gesellschaften.

00:15:55: Wir sollten also auch auf die Ähnlichkeiten der Qualität beider literarischer Welten schauen, anstatt nach den Unterschieden zu suchen.

00:16:01: Ich denke, früher wurde in der chinesischen Literatur oft ein ländliches Leben porträtiert.

00:16:07: Vielleicht suchte darum die westliche Leserschaft eher nach den Unterschieden zwischen dem chinesischen und dem westlichen Leben.

00:16:14: Das ist definitiv vorbei.

00:16:15: Jetzt sollten wir nach den Parallelen suchen zwischen den Kulturen.

00:16:19: Ich glaube, das ist die Hoffnung der chinesischen Literatur.

00:16:30: In dieser Aussage, da steckt ja eine subtile Kritik, die manche vielleicht auch als Postkolonial interpretieren würden.

00:16:36: Also das Ferne zu exotisieren, der Literatur aus China, Afrika oder Südamerika.

00:16:41: So etwas naives, ländliches, allenfaches zuzuschreiben.

00:16:45: Ja,

00:16:45: das sehe ich ganz genau so.

00:16:46: Und ich denke, damit hat sie auch irgendwie recht.

00:16:49: Es ist ja so, dass wir täglich Produkte aus China in den Händen halten.

00:16:53: Aber kulturell wissen die meisten für uns ja sehr wenig über dieses Risiko.

00:16:58: Also wir können auf Anhieb, ich würde sagen, zehn bis zwanzig Bands, Schriftsteller, Regisseurinnen, Malerinnen aus den USA aufzählen, aber wahrscheinlich nur eine Handvoll aus China.

00:17:10: Und ich wollte wissen... wie wir das eigentlich ändern können, also chinesische Kultur und Kunst auf die Agenda bringen.

00:17:18: Sie sagt, solche Festivals wie das Internationale Literaturfestival Berlin sind schon mal ein ziemlich guter Anfang, eben neue Stimmen aus China hörbar zu machen.

00:17:34: Das liegt daran, dass es wirklich eine andere Kultur als die westliche ist.

00:17:37: Du brauchst mehr Zeit, um die Kultur und die Tradition zu entdecken.

00:17:40: Vielleicht kannst du erst einmal anfangen mit einer Band, einem Autoren, einem Film.

00:17:45: Ich glaube, das ist wichtiger als eine Art allgemeiner Kulturführer und ein allgemeines Bild.

00:17:50: Wir sollten mehr persönliche Perspektiven einnehmen und uns mit den Individuen in Kontakt bringen.

00:18:04: Also zum Beispiel reisen und sich ein eigenes Bild machen.

00:18:07: Zum Schluss unseres Gesprächs wollte ich von Zhang Yiran wissen, ob es in der chinesischen Gesellschaft gerade auch Entwicklungen gibt, die ihr persönlich Hoffnung machen.

00:18:22: Frauen bekommen mehr Chancen zu sprechen, zu diskutieren.

00:18:25: Das ist wirklich wichtig.

00:18:26: Ich kann das bei meinen jungen Studentinnen beobachten.

00:18:29: Ich kann die Hoffnung der jungen Generation sehen.

00:18:32: Die Frauen haben ein anderes Verständnis von unserer Kultur und unserer Geschichte.

00:18:35: Ich hoffe, das entwickelt sich noch in der Zukunft.

00:18:47: Du warst ja knapp eine Woche da auf dem Internationalen Literaturfestival Mitte September in Berlin.

00:18:52: Es gab insgesamt zwei Veranstaltungen mit Zhang Zhijan und auch dem chinesischen Autor Xuangxiu Tao.

00:18:59: Konntest du da noch mehr erfahren über aktuelle Literatur aus China?

00:19:03: Ich habe mich auf dem IEB mit der Literaturkritikerin Katharina Borchardt über eine neue Stimme aus China... unterhalten.

00:19:11: Sie ist ja eine Expertin für Literatur aus Asien und hat auch den Abend im Haus der Berliner Festspieler mit Yang Nuan und Shang Shui Tao moderiert.

00:19:21: Und ich wollte wissen, was für chinesische Literatur gibt es eigentlich bei uns auf dem deutschen Buchmarkt?

00:19:27: Und wie lassen sich diese beiden AutorInnen dort einordnen?

00:19:32: Wenn man den Buchmarkt, den deutschen Buchmarkt anschaut und sich die chinesischen Übersetzungen damals rauspickt, dann sieht man das eigentlich alle.

00:19:39: es dabei ist, also von Klassiker bis hin zu Science Fiction, aber insgesamt ist es nicht viel, was es in deutscher Übersetzung gibt.

00:19:48: Also wenn man das mal ganz kurz chronologisch durchgibt, dann sieht man, dass einige Klassiker der chinesischen Literatur in den letzten Jahren neu übersetzt wurden.

00:19:56: Außerdem gibt es einige ältere Autoren, die aber noch leben, die auf ganz stabile Weise ins Deutsche übersetzt werden, also zum Beispiel zuletzt Yen Liang Ke und Zang Xue.

00:20:05: Die werden auch beide immer im Zusammenhang mit dem Literatur Nobel.

00:20:09: Preis erwähnt.

00:20:10: Und dann gibt es eben einige, aber ganz, ganz wenige, neue junge Autorinnen und Autoren.

00:20:14: Also viel zu wenig, finde ich.

00:20:16: Und zu denen gehören Jang Yoran und Schwang Shui Tao und die beiden greifen ganz brennende Themen auf.

00:20:22: Also sowas wie historische Traumate, nach der Kulturrevolution, Korruption, Klassismus auch, Armut, Überwachung.

00:20:30: Bei Schwang Shui Tao mit einem leicht magisch realistischen Einschlag.

00:20:34: Und wenn man darüber hinaus schaut, sieht man auch, dass es sehr viel auf Deutsch gibt.

00:20:39: Cicin Lio ist ein bestseller Autor.

00:20:41: Also das reicht dann in die Zukunft hinaus.

00:20:44: Katharina Borchert bestätigt eigentlich das, was Schaden-Juran vorhin schon gesagt hat.

00:20:50: In Westeuropa kennen wir eigentlich eher die chinesischen Klassiker und noch viel zu wenig diese neuen Stimmen der sozialen und historisch engagierten Literatur aus China.

00:21:01: Katharina Borchert hat mir auch erklärt, warum Literatur aus China hier nicht so verbreitet ist, wie z.B.

00:21:07: Literatur aus Japan oder aus Südkorea.

00:21:10: Sie sagt, das hat historische, aber auch atmosphärische Gründe.

00:21:15: Das japanische ist bei uns doch... am stärksten vertreten.

00:21:19: Das hat vor allen Dingen eine sehr lange Tradition in Deutschland.

00:21:23: Seit dem neunzehnten Jahrhundert gibt es einen wissenschaftlichen und auch literarischen Austausch mit Japan.

00:21:28: Das ist ein sehr, sehr stabiles Fundament.

00:21:30: Und dann kommt seit den achtziger Jahren natürlich, kommen die ganzen Animäsen zu und jetzt auch die Mangas, die sehr beliebt sind.

00:21:38: Im Vergleich dazu war Korea immer ein bisschen hinten dran, war auch lange eine japanische Kolonie, also eher unprominent, könnte man sagen.

00:21:47: schreiben die Koreaner sehr lange Zeit, extrem schwere sozial-realistische Literatur, also sehr viel über den Korea-Krieg, sehr viel über die Teilung des Landes, die Diktatur.

00:21:57: Und das konnte jetzt auf unserem Buchmarkt nicht so die Begeisterung hervorrufen.

00:22:02: Das hat sich total geändert durch K-Pop.

00:22:05: Also ich glaube, Korea hat viel von Japan gelernt.

00:22:08: K-Pop kam dann und jetzt zuletzt natürlich auch der Literaturpreis für Hongkong, also Korea holt auf.

00:22:15: Und China schließlich als letztes dieser drei ostasiatischen Länder, also China hat atmosphärisch und hat auch lange, aber hat auch immer noch atmosphärisch echten Problemen, hat außerdem eine Tradition eines eher bohlesken Erzählens.

00:22:28: Also das ist sehr bäuerlich, das ist sehr witzig, turbulent und dann kommt dann aber auch noch der sozialistische Realismus hinzu.

00:22:35: Also, das sind Bücher, die bei uns einfach nicht gut gehen und nicht gut gingen.

00:22:38: Und jetzt merkt man aber, der Ton verändert sich, der wird frischer, moderner, auch ehrlicher.

00:22:44: Und deswegen erhoffe ich mir sehr, dass wir mehr lesen aus China.

00:22:48: Und was ist dein Fazit?

00:22:49: Kannst du dich dem anschließen, was Katharina Borchert sagt?

00:22:52: Also auf jeden Fall finde ich es sehr nachvollziehbar, dass Japan durch eben Animes und Mangas einfach besser ankommt und Südkorea durch K-Pop und Netflix Serien wie Squid Game einfach super präsent ist.

00:23:05: Das weckt ein riesiges Interesse an der dortigen Popkultur.

00:23:09: Aber die beiden Länder sind auch einfach dadurch, dass sie Demokratien sind, hier auch zugänglicher, gleichzeitig auch überschaubarer, leichter zu greifen.

00:23:19: Und China ist einfach dieser Riese vor dem ganz viele Menschen solch eine Ehrfeucht haben, die sich ja einfach schnell in so eine Art Berührungsangst übersetzt.

00:23:30: Ich denke auch, dass sich das gerade ändert und auch irgendwie ändern muss, weil China seine Position in der Welt einfach kontinuierlich ausbaut und man um China einfach gar nicht mehr drumherum kommt.

00:23:42: Und ich finde es auch alleine deshalb total praktisch durch spannende, junge, engagierte Literatur wie die von Zhang Juran das Land besser zu verstehen, weil sie eine moderne, obane Innenansicht bietet.

00:23:55: Und das ist jetzt echt nochmal lange her, was ich jetzt noch erzähle.

00:24:00: Ich hol' ein bisschen aus, aber im Abi, da hatte ich Geschichtselkar und da haben wir auch das neue China nach den Zweiten Weltkrieg durchgenommen.

00:24:08: Und darum sind so... solche Ereignisse wie der lange Marsch von Mau, der große Sprung nach vorn oder auch die Kultur-Revolution, Begriffe für mich, mit denen ich schon mal was anfangen kann.

00:24:20: Und ich fand es jetzt beim Lesen von Danyuran aber total spannend, so eine neue Perspektive, eine Reflexion aus heutiger Sicht darauf kennenzulernen.

00:24:31: Also ich habe nach schwannen Tagen von Danyuran auf jeden Fall ganz viel Lust auf mehr bekommen.

00:24:39: So geht's mir auf jeden Fall auch.

00:24:41: Vielen, vielen Dank dir.

00:24:42: Das war die zweite Folge des Bölg-Podcasts über neue Stimmen aus China und die Autorin Zhang Zhujan.

00:24:49: Nächste Woche sprechen wir hier im Bölg-Podcast über Sicherheitspolitik.

00:24:54: Meine Kollegin Bettina Ritter hat die Außenpolitische Jahrestagung der Heinrich-Bölg-Stiftung besucht.

00:24:59: In diesem Jahr stand die unter dem Motto Reclaiming Peace, Freedom and Security in a Fragmented World.

00:25:05: Sie wird also davon berichten, wie sich Frieden und Sicherheit ... in Anbetracht von Kriegen und Umbrüchen neu denken lassen und wie man auch die Deutungshoheit von den populistischen und autoritären Akteuren zurückgewinnen kann.

00:25:19: Abonniert den Kanal, um keine Folge zu verpassen.

00:25:22: Alle Podcasts der Heinrich Böll Stiftung könnt ihr auf Spotify, Apple Podcast oder der Podcast App eurer Wahl abonnieren.

00:25:29: Für Feedback und Kritik schreibt uns eine Mail an podcastatböll.de und empfehlt uns gerne weiter.

00:25:36: Dieser Podcast ist eine Produktion bis Audio-Kollektivs.

00:25:42: Und mein Name ist Emily Thumi.

00:25:50: Tschüssi.

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